Der Kardinal tritt ab

Mit dem Rückzug von Christoph Schönborn als Erzbischof endet nicht nur eine Epoche der Wiener, sondern der österreichischen Kirche.
von Rudolf Mitlöhner
In einer für die katholische Kirche äußerst schwierigen Zeit hat Christoph Schönborn 1995 das Amt des Wiener Erzbischofs übernommen. Die Missbrauchscausa seines Vorgängers Hans Hermann Groër (1919–2003) hatte für massive Verwerfungen gesorgt und die Kirche erstmals in ihren Grundfesten erschüttert. Wobei damals noch niemand ahnen konnte, dass dieses Thema ab 2010 in globalem Maßstab und mit voller Wucht aufbrechen sollte. Heute, 30 Jahre später, sieht sich die Kirche mit sinkenden Mitgliederzahlen und steigendem Verlust an gesellschaftlicher Relevanz konfrontiert. Schönborn macht sich da selbst keine Illusionen. Die Kirche in Österreich werde weiter schrumpfen – in Wien eventuell auf 20 Prozent, österreichweit auf 40 Prozent oder weniger, meinte der Kardinal einmal. Aber: „Unser Schrumpfen beunruhigt mich nicht. Denn die Kirche hat ein schönes Paket an Sinn-Orientierung. Man nennt das das Evangelium.“
Der Mönch in ihm

Geboren wurde Christoph Maria Michael Hugo Damian Peter Adalbert Schönborn am 22. Jänner 1945 auf Schloss Skalken bei Leitmeritz (CZ). Noch im selben Jahr wurde die Familie auf Basis der Benes-Dekrete ausgesiedelt und ließ sich nach Zwischenstationen in Schruns (Vbg.), wo die Mutter Eleonore (geb. Doblhoff, 1920–2022) Arbeit fand, nieder. Schönborns Vater Hugo-Damian (1916–1979) war Maler und im Widerstand gegen die Nationalsozialisten; Christoph Schönborn hat zwei Brüder und eine Schwester, die Eltern trennten sich 1958. 1963 trat Schönborn in den Dominikanerorden ein, 1970 wurde er in Wien von Kardinal Franz König zum Priester geweiht. Von 1973 bis 1975 war er unter der Ägide von Hochschulseelsorger Egon Kapellari (dem späteren Bischof von Gurk-Klagenfurt und Graz-Seckau) Studentenseelsorger in Graz, dann Professor für Dogmatik in Fribourg (CH).
Weihbischof in Wien
1991 wurde Schönborn – nach Ernennung durch Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof der Erzdiözese Wien - von Kardinal Groer zum Bischof geweiht. Die Missbrauchsvorwürfe gegen Groer sollten erst vier Jahre später publik werden. Aber bereits die Ernennung von Groer zum Nachfolger von Kardinal König (1905–2004), der von 1956 bis 1985 an der Spitze der Erzdiözese stand, hatte für Aufruhr gesorgt: Nicht wenige sahen in dieser und weiteren umstrittenen Bischofsbestellungen, wie etwa jener von Kurt Krenn zum Weihbischof 1987, eine von Rom verordnete Kurskorrektur; wenngleich etwa Bischof Krenn auch eine große Anhängerschaft hatte und auf medialer Bühne ausgetragene Konflikte im Unterschied zu manch anderen nicht scheute.

Wechsel an der Spitze
Ende März 1995 kam die Missbrauchsaffäre ins Rollen. Groer, der die Vorwürfe zeitlebens bestritt und im Übrigen dazu schwieg, trat am 6. April 1995 als Vorsitzender der Bischofskonferenz zurück, am 13. April wurde ihm Schönborn als Koadjutor mit Nachfolgerecht zur Seite gestellt. Im August nahm der Papst das Rücktrittsgesuch Groers an, welches dieser allerdings bereits vor der Affäre, im Jahr 1994 – also wie kirchenrechtlich vorgesehen mit 75 Jahren, eingereicht hatte. Am 14. September 1995 folgte Schönborn Groer schließlich an der Spitze der Erzdiözese Wien nach.


Schönborn wurde durchaus hoffnungsfroh empfangen, die Erleichterung nach dem Wechsel in der Diözesanleitung war mit Händen zu greifen – ein Aufatmen ging (nicht nur) durch das katholische Österreich. Man traute dem weltläufigen, polyglotten Dominikaner aus altem böhmischem Adel zu, das Schiff wieder ins ruhigere Gewässer zu steuern. „Ruhig“ sollte es zwar in Schönborns Amtszeit nie mehr so richtig werden, aber das durch ihn personifizierte Antlitz der österreichischen Kirche wurde ein menschenfreundliches, einnehmendes - ungeachtet aller Kontroversen, die sich um seine Person entspannen (wie hätte es auch anders sein sollen?). Und ein allgemein respektiertes. „Es lohnt sich immer, zuzuhören, wenn Schönborn spricht“, notierte etwa erst kürzlich der Österreich-Korrespondent der FAZ. 1998 wurde der Wiener Erzbischof ins Kardinalskollegium aufgenommen, im selben Jahr übernahm er auch den Vorsitz der Österreichischen Bischofskonferenz vom damaligen steirischen Hirten Johann Weber.
Drei Päpste

Johannes Paul II., Benedikt XVI., Franziskus
Zwei Papstbesuche fanden während Schönborns Amtszeit statt. 1998 kam Johannes Paul II. – zum dritten Mal nach 1983 und 1988 – nach Österreich. Diese Visite war freilich teils überschattet von der Causa Groer. In einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ anlässlich des 100. Geburtstags von Johannes Paul II. (18. Mai 2020) meinte Schönborn, der Besuch habe „nicht mehr die große Begeisterung ausgelöst“ wie jener 1983, die Vorwürfe gegen Kardinal Groer hätten die Kirche bereits enorm belastet und zu Protesten und Austritten geführt. „Wir hatten doch sehr gehofft, dass Papst Johannes Paul II. ein Wort des Trostes und des Mitgefühls auch für die Betroffenen, für die Menschen, die darunter gelitten hatten, finden würde. Dieses Wort ist ausgeblieben.“ Gleichwohl fand Schönborn, der schon als Redaktionssekretär des Weltkatechismus mit Johannes Paul II. viel zu tun hatte, Worte der großen Wertschätzung: „Er war Hirte für die ganze Welt. Er hatte eine unglaublich starke Stimme, eine große moralische Autorität, auch im Konzert der Völker.“ Ein Höhepunkt der Ära Schönborn war gewiss der Österreich-Besuch von Benedikt XVI. 2007. Mit diesem war Schönborn auch persönlich freundschaftlich verbunden. Auch bei seiner Abschiedspressekonferenz im Dezember kam Schönborn wiederholt auf Benedikt bzw. Kardinal Joseph Ratzinger zu sprechen. Dieser sei „entgegen dem Bild, das oft von ihm gezeichnet wurde, ein sehr offener und weitsichtiger Mann“ gewesen. Franziskus wiederum habe er schon kennen gelernt, als dieser noch Weihbischof in Buenos Aires war – bei den „Kleinen Schwestern vom Lamm“. In einer Wiener Niederlassung dieses Ordens wird Schönborn nach seiner Emeritierung wohnen.
Quo vadis, ecclesia?
Blick in die Kirchenzukunft
Gefragt, wie er denn angesichts hoher Austrittszahlen und schwindender regelmäßiger Kirchgänger und aktiver Teilnehmer am kirchlichen Leben die Zukunft seiner Kirche sehe, mag der Kardinal bei seiner Abschiedspressekonferenz manche überrascht haben: Eine Rückkehr zu früheren, vermeintlich besseren Zeiten sei weder möglich noch wünschenswert, hielt er fest. Er sehe aber keinen Grund zur Resignation. Es gebe eine spürbare intensive „Suche nach Antworten auf die großen existenziellen Fragen“, und hier habe das Christentum ein „großes Angebot“, „tiefe Ressourcen“. Als Positivbeispiel verwies Schönborn auf 13.000 Erwachsene, nicht traditionell katholisch sozialisiert, die zu Ostern in Frankreich sich taufen ließen: „Was bewegt sie?“, fragte der Kardinal. Ob er optimistisch oder pessimistisch auf die Zukunft blicke? Dies sei eine „Frage des Temperaments“, zitierte er Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger. Das entscheidend Christliche sei die Hoffnung. Dabei gehe es nicht um Temperament, sondern um eine Frage „des Willens und der Geistesüberzeugung“. „Und ich bin hoffnungsvoll.“

Teilweiser Rückzug
Schönborn übergibt an Franz Lackner
Bei der Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz im Juni 2020 in Mariazell wurde der Salzburger Erzbischof Franz Lackner zum neuen Vorsitzenden des Gremiums gewählt. Lackner (geb. 1956), seit 1984 Franziskaner, wurde 2002 Weihbischof der Diözese Graz-Seckau, 2013 dann Erzbischof von Salzburg. Am 22. Jänner 2020 hatte Schönborn sein 75. Lebensjahr vollendet. Das mit Erreichen dieser Altersgrenze für Bischöfe vorgeschriebene Rücktrittsgesuch an den Papst hatte Schönborn bereits zuvor übergeben – und zwar Franziskus persönlich im Rahmen der Amazonien-Bischofssynode im Oktober 2019 in Rom. Dieser habe ihm, so erzählte Schönborn bei einer Pressekonferenz im November 2019, am nächsten Tag nur gesagt: „Ich habe Ihren Brief gelesen.“ Ob Schönborn damals geahnt hat, dass er noch gut fünf Jahre in Amt und Würden bleiben sollte? Vielleicht doch – jedenfalls erinnerte er seinerzeit an seinen Vorvorgänger, Kardinal Franz König (1905–2004), der bis zu seinem 80. Lebensjahr von Johannes Paul II. an der Spitze der Erzdiözese belassen wurde ...

Wer folgt Schönborn nach?
Foto: Martin Stachl
Foto: Martin Stachl
Michael Landau
Foto: Jeff Mangione
Foto: Jeff Mangione
Hermann Glettler
Foto: APA/Rubra
Foto: APA/Rubra
Bernhard Eckerstorfer
Spekulationen aller Art
Zuletzt machten Gerüchte die Runde, die Klärung der Nachfolgefrage könnte sich verzögern. Davor kursierte eine vom Nuntius in Österreich erstellte Listen von drei möglichen Kandidaten – die Erstellung solcher Listen ist eine der wesentlichen Aufgaben der Nuntiaturen in aller Welt –, auf der die Namen Hermann Glettler (60, Bischof von Innsbruck), Michael Landau (64, Präsident der Caritas Europa) und Bernhard Eckerstorfer (54, Benediktinerpater des Stifts Kremsmünster und Rektor der Ordenshochschule Sant'Anselmo in Rom) gestanden sein sollen. Nun hieß es aber, einer oder zwei dieser Genannten hätten abgewunken, weshalb das Procedere ins Stocken geraten sei. Ins Spiel gebracht wurden und werden freilich auch andere. Etwa der Salzburger Erzbischof Franz Lackner (68), der allerdings zu Weihnachten in einem „Presse“-Interview meinte: „Nach menschlichem Ermessen ist es auszuschließen. Ich bin im 69. Lebensjahr. Wien braucht einen Jungen, einen Dynamischen.“ Auch der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl (61) soll Chancen haben. Bei einer so großen und wichtigen (Erz-)Diözese wie Wien spricht vieles dafür, dass nur jemand in Frage kommt, der bereits die Bischofswürde besitzt. Dass also ein Priester „aus dem Stand“ gleich Erzbischof von Wien wird, ist eher nicht anzunehmen. Das spräche gegen an sich immer wieder als episkopabel gehandelte Kandidaten wie den Heiligenkreuzer Pater Karl Wallner (61), der als Direktor der Päpstlichen Missionswerke international bestens vernetzt ist und das tut, was Franziskus von seiner Kirche fordert, nämlich „an die Ränder“ zu gehen. Auch der Abt von Heiligenkreuz, Maximilian Heim (63), wird gelegentlich gehandelt. Findet sich einstweilen kein neuer Erzbischof, so wählt das Domkapitel einen Administrator (vergleichbar dem Vorsitzenden einer einstweiligen Bundesregierung, der kein Kanzler ist, aber die Geschäfte führt) – oder Rom selbst ernennt einen Apostolischen Administrator. Einstweilen gilt: Roma non locuta, causa non finita.
